Betroffene beklagen Schneckentempo bei barrierefreier Gesundheitsversorgung

(ÄrzteZeitung/ BAG Selbsthilfe/red; lh) Menschen mit Beeinträchtigungen fordern vom Staat Vorgaben, um nicht nur im Gesundheitswesen für Barrierefreiheit zu sorgen. Ab 2024 will die KBV die Suche nach Praxen erleichtern, die auf die speziellen Patienten eingestellt sind.

Berlin. Diskriminierungsfreier Zugang zum Gesundheitssystem ist für die meisten Menschen mit Beeinträchtigungen noch immer ein Wunschtraum. Deutschland tue viel zu wenig, monierten auf der KBV-Herbsttagung zum Thema Barrierefreiheit, Mobilität und Teilhabe- Zugänge zur ambulanten ärztlichen Versorgung“ Betroffene. Ab2024 will ihnen die KBV per Transparenzliste
die Suche nach Praxen erleichtern, die sich um Barrierefreiheit bemühen. Österreich hat schon ein Register.

Um deutliche Worte war am Dienstag der „Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen“ nicht verlegen. Inklusion sei nicht nur ein „Nice-to-have“,sondern ergebe sich schon aus rechtlichen Verpflichtungen, die Deutschland beispielsweise aus der UN-Behindertenkonvention eingegangen sei, sagte Jürgen Dusel, der seit der Geburt stark sehbehindert
ist.

Es sei Aufgabe des Staates, Maßnahmen zu ergreifen, damit Menschen mit Beeinträchtigung ihr Recht etwa auf barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversorgung leben könnten. „Wenn wir nur auf Freiwilligkeit setzen, dann werden wir zu kurzspringen“, sagte Dusel. Unzufrieden war auch Gerlinde Bendzuck von der Deutschen Rheuma-Liga: Hinsichtlich der Barrierefreiheit befindesich Deutschland immer noch erstam Anfang.

Meisten Praxen sind nicht barrierefrei

In Deutschland gebe es 13,5 Millionen Menschen mit Beeinträchtigung. Von diesen arbeiteten 1,4Millionen und zahlten auch in die GKV ein. Dass Recht auf freie Arztwahlexistiere für sie nur theoretisch, denn „faktisch ist es so, dass nur 25 Prozent der Praxen barrierefrei sind“, sagte Jürgen Dusel.

Auf Bundesebene hat das Arbeitsministerium eine Initiative Barrierefreiheit auf den Weg gebracht. Das Bundesgesundheitsministerium(BMG) stellte kürzlich einen Aktionsplan vor, mit dem perspektivisch Barrierefreiheit und Inklusion in der Gesundheitsversorgung erreicht werden sollen. Dazu, versicherte Till-Christian Hiddemann vom BMG, sollen alle Institutionen und vor allem Selbsthilfegruppen eingebunden werden. Bis Mitte Dezemberlaufe ein schriftliches Beteiligungsverfahren, danach beginnen Fachgespräche. Ziel seien nicht nur langfristige, sondern auch kurzfristige Maßnahmen, die noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden sollen.

Verpflichtung für KZBV fehlt noch

Den Aktionsplan bezeichnete Dr.Martin Danner von der BAG Selbsthilfe als Startschuss. Die Verpflichtung der KBV, eine Richtlinie zur Information über Barrierefreiheit vonPraxeneinzuführen, begrüßte er. Nun sei es aber nötig, dass auch die KZBV einen entsprechenden Auftrag erhalte. Zudem müssten Suchmaschineneingerichtet werden, mit denen Menschen mit Behinderungen für sie geeignete Praxen finden könnten.

Orientierung, welche Praxen in welchem Umfang barrierefrei sind, soll ab dem kommenden Jahr eine Transparenzliste der KBV bieten. In ihr können Ärzte und Ärztinnen auf freiwilliger Basis angeben, ob zum Beispiel Rollstuhlfahrer problemlos in die Praxis und durch die Türen kommen, ob sich Liegen herunterfahrenlassen, ob Mitarbeiter Gebärdensprache beherrschen, kontrastreiche Markierungen in der Praxisexistieren oder die Kommunikationsstruktur auf spezielle Patientengruppenausgerichtet ist. Dann ergab aber zu Bedenken, dass Ärzte  bei der Einschätzung der Barrierefreiheit auch auf externe Expertise angewiesen sein könnten. Kooperationen mit Patientenvertretungen seien deshalb sinnvoll.

Ein Stern für Verlässlichkeit der Angaben

In Österreich existiert bereits einePlattform, auf der sich barrierefreiePraxen listen lassen können. Die Eintragungberuht auf über 100 Kriterien,zu denen die EinrichtungenAngaben machen. 22 Prozent derniedergelassenen Ärzte haben sichin diesem Register bereits eintragenlassen. 512 von ihnen habendie Möglichkeit einer Fremdevaluationgenutzt. Das heißt: Die Angabenwerden von einem Verband geprüft.Im Register können das Patientenanhand eines gelben Sternserkennen.

Transparenz über Barrierefreiheit sei wichtig und KBV und KVen könnten diese auch abfordern, sagte Hausärztin Dr. Susanne Springborn. Barrierefreiheit müsse positiv konnotiert werden, das „Mindset“ der Kollegen müsse sich entsprechend ändern. Zum „Brot- und Buttergeschäft“ der KVen müsse aber auch gehören, die Praxen zu beraten. Änderungen bei der Vergütung mahnte Dr. Bernhard Gibis von der KBV an: Die Bedarfe bei der Behandlung von Menschen mit Beeinträchtigungen seien hier nicht abgebildet. „Wir müssen überlegen, wie man dem gerecht werden kann.“

Bildquelle: LAG SH Rheinland-Pfalz