Triage-Gesetz nach namentlicher Abstimmung verabschiedet

(kobinet Nachrichten/Ottmar Miles-Paul/red; ahi) Dass es Abgeordnete gibt, die ihrem Gewissen auch konsequent gegen die Fraktionsdisziplin folgen und dies im Sinne der Menschenrechte behinderter Menschen, erlebt man in der Behindertenpolitik nicht oft. Die Abstimmung zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes zu Regelungen im Falle einer Triage am 10. November dürfte dahingehend ein Highlight sein, auch wenn das von vielen als nicht menschenrechtskonform kritisierte Gesetz am Ende im Rahmen einer namentlichen Abstimmung im Bundestag verabschiedet wurde.

Doch von vorn: Bereits bei der Anhörung und im Vorfeld der heutigen Bundestagsdebatte hatte es viel Kritik vonseiten der Behindertenrechtsbewegung an den vorgesehenen Regelungen zur Triage gegeben. Vor allem das Kriterium der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit stieß auf heftige Kritik als Regelung für das Überleben der Fittesten. Vor der Debatte und Abstimmung hatten behinderte Menschen noch eine Gedenkminute vor dem Reichstag durchgeführt, damit niemand sagen könne, man habe nicht gewusst, über was da abgestimmt wird. Zudem wurde den ganzen Tag über in den Medien über das Triage-Gesetz berichtet, wobei auch einige erfolgreiche Beschwerdeführer*innen vor dem Bundesverfassungsgericht, wie Nancy Poser und Constantin Grosch, zu Wort kamen.

Als nun die knapp vierzigminütige Debatte anstand, war schon anhand der ausgewählten Redner*innen der Koalitionsfraktionen deutlich, dass keine behindertenpolitischen Sprecher*innen das Wort ergreifen würden. Die Abstimmung schien also Formsache zu sein, was sie allerdings nicht war. Aus den Reihen der Koalition stimmten einige Abgeordnete gegen den Gesetzentwurf und machten daher ein anderes Abstimmungsverfahren nötig. Nach etwas Hin und Her und einer Unterbrechung wurde schließlich die namentliche Abstimmung gewählt, was zu erheblichen Verzögerungen im Parlamentsablauf führte.

Waren bisher vielleicht 70 Abgeordnete im Plenum bei der Debatte und für die Abstimmung anwesend, mobilisierten die Fraktionen nun ihre anderen Abgeordneten. Am Ende wurden so 656 Abgeordnete zusammengetrommelt, die in der namentlichen Abstimmung Farbe bekennen mussten, meist wahrscheinlich ohne irgendwelches Detailwissen über die Tragweite ihrer Entscheidung.

Dadurch konnte die Verabschiedung des Gesetzes aber nicht verhindert werden. Am Ende stimmten von den dann anwesenden 656 Abgeordneten 367 für das Gesetz, 284 stimmten dagegen und fünf enthielten sich der Stimme. Bei der Endabstimmung waren es dann noch fünf Abgeordnete bei den Grünen und zwei Abgeordnete der FDP, die aus den Reihen der Regierungskoalition gegen das Gesetz stimmten. Man kann also sagen, dass sieben Koalitionär*innen bis zum Schluss den Mut besaßen, sich gegen den Fraktionszwang in dieser Sache aufzulehnen. Aus Reihen der Behindertenbewegung wurde ersten Stimmen zufolge, diesen hoher Respekt gezollt, auch wenn das umstrittene Gesetz nun verabschiedet wurde.

Nach diesem Parlamentskrimi, der sich über zwei Stunden hinzog, dürfte die Diskussion über nichtdiskriminierende Regelungen im Falle einer Triage sicherlich noch nicht abgeschlossen sein, denn das Gesetz soll evaluiert werden. Die Hoffnung ist natürlich, dass es erst gar nicht zu Triage-Situationen kommt.