LAG SH Sachsen im Gespräch mit bildungspolitischer Sprecherin Christin Melcher, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN
(red; ahi) Im März führte die LAG SH Sachsen ein Gespräch mit der bildungspolitischen Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, Christin Melcher, sowie der parlamentarischen Beraterin für Bildung der GRÜNEN, Nancy Biermann. Anlass war die Podiumsdiskussion der LAG SH Sachsen „Inklusion in der Bildung – Alles eine Frage des Lehrermangels?“ im vergangenen November, deren Ergebnisse die Politikerinnen diskutieren wollten.
Die UN-BRK fordert in Artikel 24 die Anerkennung des Rechts von Menschen mit Behinderungen auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage von Chancengleichheit. Um dieses Recht zu verwirklichen, bedarf es eines integrativen Bildungssystems auf allen Ebenen, einschließlich des gleichberechtigten Zugangs zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen. Ziel ist die Teilhabe statt einer gesellschaftlichen und institutionellen Ausgrenzung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen.
Die Ankündigung von Kultusminister Christian Piwarz, die Förderschulen „als Orte ausgewiesener sonderpädagogischer Kompetenz“ zu stärken, betrachtet die LAG SH Sachsen daher kritisch. Auch seiner Aussage, dass es „im Übrigen nie Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention [war], das in Deutschland hochentwickelte Förderschulsystem aufzulösen, wie es einige Bundesländer getan haben“, widerspricht der Bericht des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Staatenberichtsverfahren Deutschlands überwiegend. In seinen abschließenden Bemerkungen (Concluding Observations) fordert der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Ausschuss) u. a., dass in enger Zusammenarbeit mit Selbstvertreter*innen umfassende Konzepte für den Übergang von Sonderschulen zu inklusiver Beschulung entwickelt werden, dass Kinder mit Behinderungen Regelschulen besuchen können und dass die Lehrkräfte und Schulmitarbeitende zu den Themen der inklusiven Beschulung weitergebildet werden (S. 11-12).
Die LAG SH Sachsen fordert daher, dass die Landesregierung den Empfehlungen des UN-Ausschusses folgt und das Förderschulsystem zurück- statt ausbaut. Ferner hält sie eine umfassende Evaluation der Förderschulen und ihre Wirkkraft für angebracht. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass mit dem Besuch einer Förderschule der weitere Weg eines Menschen mit Behinderung oft schon vorgezeichnet ist: Auf die separierte Beschulung folgt die Sonderwelt der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), eine weitere Institution, bei der aus Sicht der UN-BRK deren Menschenrechtskonformität angezweifelt werden darf.
Um eine inklusive Bildung sicherzustellen, müssen Regelschulen umfassend ausgestattet werden, Lehrkräfte besser aus- und weitergebildet werden und Sonderpädagogen auch in Schulformen außerhalb der Förderschulen zum Einsatz kommen. Gefragt ist eine geplante Überführung der Ressourcen und Kompetenzen in gemeinsame Schulen statt des Festhaltens an der Doppelstruktur der Förder- und Regelschulen. Des Weiteren benötigt es eine gesetzliche Grundlage für den Anspruch auf Beschulung in Gebärdensprache (siehe auch Forderungspapier der LAG SH Sachsen zur Landtagswahl 2024). Ein Ziel der GRÜNEN, welches die LAG SH Sachsen ausdrücklich unterstützt, ist die Verankerung der Sonderpädagogik in der Lehrkräfteausbildung.
Bei dem Gespräch konnte die LAG SH Sachsen auch einige Ergebnisse der Podiumsdiskussion anbringen. So äußerten sich mehrere Diskussionspartner*innen, u. a. eine Mutter von Kindern mit Behinderungen, dass momentan nach Meinung einiger Experten sowie Eltern auf Förderschulen noch nicht komplett verzichtet werden kann, da die Ressourcen an Regelschulen fehlen. Es handelt sich hierbei um kein echtes Wahlrecht, sondern ein Scheinwahlrecht. Die Eltern haben die Wahl, ihr Kind auf eine schlecht ausgestattete Regelschule zu schicken, im Wissen, dass ihr Kind dort womöglich untergehen wird, oder es auf eine Sonderschule zu schicken, im Wissen, dass ihr Kind damit den Weg der Exklusion einschlägt und auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Voraussetzungen haben wird. Auch das Argument, dass dem Kind auf einer Sonderschule aufgrund anderer Ressourcen besser geholfen werden kann, entkräftet sich laut Christin Melcher und Nancy Biermann nach und nach: Sonderschulen haben mittlerweile den höchsten Anteil an Quereinsteiger*innen. Es mangelt auffällig an ausgebildeten Sonderpädagogen.
Laut Marina Rötzer-Nelles, Koordinatorin für Inklusion Dresden des LASUB, ist das deutsche Schulsystem nicht für Inklusion geeignet: Es ist separierend, Lehrkräfte fehlen und in der Ausbildung derselbigen mangelt es an sonderpädagogischen Inhalten. Momentan hängt es oft von Glück ab, ob dem Kind mit Behinderung in einer Regelschule gerecht wird: Es braucht den entsprechenden Willen bei Schulleitung und Lehrkräften, aber auch die Ressourcen. Dass eine Lehrkraft bei einer Klasse von 30 Schüler*innen ohne ein multiprofessionelles Team mit mindestens einer weiteren Person nicht jedem Kind gerecht werden kann, ist offensichtlich. Dann werden Exklusionsketten in Gang gesetzt, was auch der Kritikpunkt des Ausschusses ist: Es wird nicht an den Strukturen angesetzt.
Weitere Informationen zum Staatenberichtverfahren auf den Webseiten der Monitoring-Stelle UN-BRK
Die LAG SH Sachsen bedankt sich bei Christin Melcher für die Anfrage und das konstruktive Gespräch.
Bildquelle: SLT/Oliver Killig