
Barrierefreiheit: Pflicht und Chance für die Wirtschaft
[DBSV; mhs] Der Countdown läuft: Am 28. Juni tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft und verpflichtet die Privatwirtschaft in ausgewählten Bereichen zur Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen. „Viele Menschen mit Behinderungen erwarten endlich spürbare Verbesserungen in ihrem Alltag“, sagt dazu Christiane Möller, Justiziarin und stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV).
Barrierefreiheit: Pflicht und Chance für die Wirtschaft
Unter das Gesetz fallen nach Informationen des DBSV etwa Online-Shops, Bankdienstleistungen, Zahlungsterminals, E-Books und Smart TVs. Der DBSV fordert seit Jahrzehnten, dass auch private Wirtschaftsakteure zur Barrierefreiheit alltäglich benötigter Produkte und Dienstleistungen verpflichtet werden. Dass nun in Deutschland erstmals entsprechende gesetzliche Regelungen greifen, ist auch ein Erfolg der Selbsthilfe, die sowohl das zugrundeliegende europäische Recht, den sogenannten European Accessibility Act (EAA), als auch das BFSG von Anfang an begleitet hat.
„Jetzt ist von zentraler Bedeutung, dass unsere Wirtschaft den neuen Verpflichtungen nachkommt und das Gesetz auch als Chance begreift. Barrierefreiheit ist ein Qualitätsmerkmal“, betont Christiane Möller. Mehr als 13 Millionen Menschen in Deutschland haben eine Behinderung – und sind auch Kundinnen und Kunden. Barrierefreiheit unterstützt zudem die Entwicklung von Angeboten für die stetig wachsende Zielgruppe 60 plus. Nicht zuletzt sind gute Kontraste, leserliche Schriften und verständliche Sprache Maßnahmen, die das Leben aller ein Stück einfacher machen, sei es bei erschwerten Sichtbedingungen oder in Stresssituationen.
Aktuellen Handlungsbedarf sieht der DBSV bei der Rechtsdurchsetzung: Damit das BFSG ein Erfolg wird, müssen die dafür vorgesehenen staatlichen Instanzen, also die Marktüberwachung und die Schlichtungsstelle, ab dem Inkrafttreten konsequent die Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern schützen. „Gesetze sind zahnlose Tiger, wenn Verstöße ohne Folgen bleiben“, stellt Christiane Möller fest. Deshalb fordert der DBSV, dass die zentrale Marktüberwachung zügig mit dem nötigen Personal ausgestattet wird und ihre Arbeit umgehend und effizient aufnimmt. Der DBSV wird hier seine Möglichkeiten als Verbraucherschutzorganisation nutzen und Barrierefreiheit einfordern.
Schließlich sieht der Verband nach wie vor auch den Gesetzgeber in der Pflicht. Dazu betonte Christiane Möller: „Das BFSG ist ein guter Anfang, aber nun muss ambitioniert nachgelegt werden.“ Das betrifft insbesondere die viel zu langen Übergangsfristen für Selbstbedienungsautomaten. Zudem muss der Anwendungsbereich des Gesetzes erweitert werden, um einen lückenlosen Schutz zu gewährleisten. So fehlen beispielsweise Vorgaben für Haushaltsgeräte, Postdienstleistungen und Software sowohl für den Bildungs- als auch den Berufsalltag. Wird Barrierefreiheit hier nicht konsequent zur Pflicht, haben Menschen mit Behinderungen auch weiterhin keine Chance auf gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen.
Bild: DBSV