
Wie Inklusion in deutschen Kommunen gelingen kann
[mhs] Kommunen, die ausreichend barrierefreie Wohnungen bereitstellen, deren Ämter und Schulen für Menschen mit und ohne Behinderungen sowie jeden Alters gleichermaßen zugänglich sind und in denen flexible Unterstützungsdienste ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen: Laut UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) müsste das in Deutschland überall der Fall sein. Doch die Realität sieht vielerorts anders aus. Wie setzen deutsche Kommunen die UN-BRK tatsächlich um, wie gelingt Inklusion vor Ort und zu welchen Maßnahmen sind Kommunen rechtlich verpflichtet? Diese Fragen untersucht das Forschungsprojekt „UN-Behindertenrechtskonvention in den Kommunen“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte und der Universität Siegen, dessen finale Untersuchungsergebnisse am 16. Juni 2025 veröffentlicht und im Rahmen eines Pressegesprächs vorgestellt wurden.
„Ob Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, entscheidet sich maßgeblich auf kommunaler Ebene. Kommunen haben die Möglichkeiten und die menschenrechtliche Verpflichtung, Bereiche wie Bildung, Wohnen oder Mobilität inklusiv zu gestalten. Dass dies mit guter Planung und mit dem nötigen politischen Willen gelingen kann, hat unser Forschungsprojekt eindrucksvoll gezeigt“, so Dr. Leander Palleit, Leiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Im Rahmen des Pressegesprächs stellte Leander Palleit klar, dass sich sowohl aus dem Völker- und Europarecht als auch aus dem deutschen Recht eine eindeutige Verpflichtung der Kommunen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ableiten lasse.
„Derzeit haben nur 41 Prozent der Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern und der Kreise Pläne zur Umsetzung der UN-BRK in Arbeit oder abgeschlossen. Das reicht bei Weitem nicht aus“, sagte Prof. Dr. Albrecht Rohrmann, Sprecher des Zentrums für Planung und Entwicklung Sozialer Dienste der Universität Siegen. Wesentliche Erfolgsfaktoren seien eine systematische Planung von Anfang an, eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung sowie eine umfassende Beteiligung von Menschen mit Behinderungen. „Angesichts knapper Kassen zögern viele Kommunen bei Investitionen in Barrierefreiheit. Anpassungen im Nachhinein sind allerdings sehr viel teurer, als Barrierefreiheit bei der Planung von öffentlichen Gebäuden, Straßen oder digitalen Angeboten von Anfang an zu berücksichtigen“, so Albrecht Rohrmann weiter. Der Schwerpunkt der kommunalen Planungen wurde in den Jahren 2011 bis 2014 durchgeführt, es gäbe aktuell aber auch 3 Kommunen, die am Anfang von Planungsprozessen stehen.
„Eine barrierefreie Infrastruktur in den Kommunen ist kein Nice-to-have. Sie erleichtert den Alltag sehr vieler Menschen vor Ort und ist Voraussetzung dafür, dass Menschen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Nicht zuletzt angesichts des demografischen Wandels besteht akuter Handlungsbedarf in den Städten und Gemeinden“, ergänze Leander Palleit.
„Damit Planungsprozesse nicht ins Leere laufen, ist es wichtig, Menschen mit Behinderungen von Anfang an aktiv bei Entscheidungen einzubeziehen. Dies ist bislang nur in 40 Prozent der untersuchten Kommunen der Fall“, so Rohrmann. Partizipative Planungsprozesse führten nicht nur dazu, dass praxistaugliche Lösungen gefunden werden, sondern machten Demokratie erlebbar und stärkten den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort.
Manuela Scharf, Beauftragte für Menschen mit Behinderungen und Senior/innen der Landeshauptstadt Dresden, zeigte im Pressegespräch einige positive Aspekte auf, die durch Aktionspläne erreicht werden konnten. Ein Problem sei, dass eine gezielte Strategie zur Entwicklung von Barrierefreiheit in Dresden nicht Teil des Aktionsplans sei. Das Thema müsse also immer wieder punktuell angegangen werden, wobei es mit dem Denkmalschutz zuweilen schwierig sei, Barrierefreiheit zu erreichen. Die Landeshauptstadt Dresden hat einen Stadtratsbeschluss für einen Aktionsplan gefasst und kann auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Beirat von Menschen mit Behinderungen blicken. Behinderte Menschen waren laut und hatten gute Kontakte, so dass der Beschluss für einen Aktionsplan bereits 2013 in Dresden gefasst wurde, betonte Manuela Scharf. Die Arbeit an einem Aktionsplan starte einen Sensibilisierungsprozess in der Verwaltung, bei dem sich auch Menschen kennenlernen und mit dem Thema Inklusion beschäftigen, die sonst nicht so viel mit dem Thema zu tun haben. Wichtig sei, dass es vonseiten des Landes Sachsen eine Fördermöglichkeit für die Entwicklung von Aktionsplänen gibt.
Das Forschungsprojekt hat die planerische Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in deutschen Städten, Gemeinden und Kreisen bundesweit analysiert. Die Untersuchungsergebnisse sind seit dem 16. Juni 2025 auf der Website des Deutschen Instituts für Menschenrechte öffentlich zugänglich. Wer mit der Planung und Umsetzung von Inklusion auf kommunaler Ebene betraut ist oder seine Kommune von einem solchen Vorhaben überzeugen möchte, findet hier Praxisbeispiele, rechtliche Vorgaben und konkrete Hilfestellungen für die Entwicklung inklusiver Gemeinwesen, heißt es zum neuen Internetangebot.
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Factsheet: Die wichtigsten Forschungsergebnisse im Überblick
Wie Inklusion in deutschen Kommunen gelingen kann – ein Interview
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