Selbsthilfegruppen: Ein Auslaufmodell für junge Menschen?!
(Der Paritätische Sachsen/red; ahi) Der Austausch und Kontakt in Selbsthilfegruppen ist für viele Menschen eine wichtige Stütze, um herausfordernde Lebenssituationen zu meistern. Für junge Menschen scheint das Format allerdings wenig attraktiv zu sein. Wie können Jugendhilfe und Selbsthilfe hierbei zusammenarbeiten?
Mit Jugend werden gemeinhin auch Attribute wie gesund und dynamisch verbunden. Aber auch junge Menschen können schwer oder chronisch erkranken. Sie können in Lebenskrisen geraten oder Befürchtungen vor einer solchen haben. Aktuelle Studien zeigen, dass in Folge der Corona-Pandemie insbesondere bei Kindern und Jugendlichen psychische Belastungen und Erkrankungen zugenommen haben. Aber auch Krebs, Diabetes oder rheumatische Erkrankungen sind keinesfalls auf ein höheres Lebensalter beschränkt.
Für viele Menschen ist es in derartigen Situationen essenziell, Kontakt zu anderen aufzunehmen, sei es im Freundeskreis oder in der Familie oder sie suchen professionelle Unterstützung beispielsweise durch Berater*innen, Ärzt*innen oder Therapeut*innen. Manche finden auch den Weg in eine Selbsthilfegruppe. Davon gab es laut Hochrechnungen der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) im Jahr 2022 in Deutschland immerhin rund 48.900.
Junge Menschen nutzen Selbsthilfegruppen kaum
Im Bereich der sogenannten Jungen Selbsthilfe sind es laut NAKOS allerdings lediglich rund 900 Gruppen. Diese sprechen vornehmlich Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren an.
Man könnte nun meinen, junge Menschen suchen neben der Jungen Selbsthilfe ganz selbstverständlich auch andere Selbsthilfegruppen auf, wenn Sie Rat und Hilfe von Menschen in ähnlichen Lebenslagen benötigen. Dass sie also selbstverständlich bei all den 48.900 Gruppen mit dabei sind. Aus der Praxis wird jedoch berichtet, dass sich jüngere Menschen kaum in Selbsthilfegruppen, geschweige denn Selbsthilfeorganisationen finden.
Dabei ist die Selbsthilfelandschaft gut ausgebaut, wenngleich an der ein oder anderen Stelle Verbesserungen sinnvoll wären. In der Stadt Dresden sind z.B. mehr als 200 Gruppen gelistet, im Erzgebirgskreis immerhin rund 80. In vielen Kommunen gibt es Selbsthilfekontaktstellen (KISS), 18 in ganz Sachsen. Diese übernehmen unter anderem eine Vermittlerrolle zu den Strukturen der Selbsthilfe. Auch Gruppengründungen werden von den Mitarbeitenden der KISS unterstützt. Viele der aktiven Selbsthilfegruppen und -organisationen sind zudem selbst im Internet präsent und damit im Grunde für alle leicht auffindbar.
Selbsthilfestrukturen zu starr und wenig attraktiv für junge Menschen
Jungen Menschen erscheinen bestehende Selbsthilfestrukturen aber wenig attraktiv. Finden sie den Weg in Gruppen und Organisationen, ist ihre Verweildauer oft kurz. Verantwortungsübernahme als Gruppenleitung oder gar in der Vereinsarbeit wird häufig abgelehnt. Junge Menschen sind spontan und weniger verbindlich als dies die traditionelle Selbsthilfelandschaft bisher gelebt hat. Formalien wie die Beantragung von Fördermitteln aus dem Topf der Krankenkassen vermeiden sie stärker.
Angeleitete Selbsthilfegruppen oder eine fachliche Unterstützung der Eigeninitiative von Kindern und Jugendlichen, sei es zum Beispiel beim Initiieren von Gruppentreffen oder bei der Übernahme administrativer Aufgaben, würden womöglich den Zugang für Jugendliche erleichtern. Dies sieht die Selbsthilfeförderung aktuell jedoch nicht vor. Hier ist das Bild, was Selbsthilfe ist und was nicht, ganz klar umrissen. So ist derzeit eine professionelle Anleitung ausgeschlossen und wird laut dem Leitfaden zur Selbsthilfeförderung durch den GKV-Spitzenverband demnach auch nicht gefördert.
Betreiben junge Menschen trotzdem Selbsthilfe? – Eine Spurensuche
Was bleibt, ist die Frage, was junge Menschen mit chronischen Erkrankungen oder in schwierigen Lebenssituationen tun, um dem menschlichen Bedürfnis nach Austausch und Unterstützung nachzukommen. Und was müsste Selbsthilfe ändern, um junge Menschen wieder zu erreichen?
Einerseits muss sie mit den jungen Menschen selbst sprechen, um Antworten näher zu kommen. Eine andere Chance liegt im Brückenschlag zwischen Jugendhilfe und Selbsthilfe. Diese Vernetzung könnte wichtige Erkenntnisse zu Tage fördern. Zudem erführen die Beschäftigten in der Jugendhilfe mehr über die Möglichkeiten der Selbsthilfe und könnten diese perspektivisch als ein weiteres Instrument im Werkzeugkoffer ihrer täglichen Arbeit nutzen.
Der Fachtag „Krankheiten und Krisen im Jugendalter- Peer-to-Peer-Hilfen als Selbsthilfe?!“ am 13.11.2023 in Dresden möchte daher gemeinsam mit Akteur*innen der Jugendhilfe und der Selbsthilfe auf Spurensuche gehen. Zusammen mit Vertreter*innen der AOK Plus sowie des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt soll diskutiert werden, welche Wege Selbsthilfe gehen müsste, um für junge Menschen wieder attraktiv zu werden.
Kontakt:
Nicole Börner (Referentin Selbsthilfe)
Tel.: 0351 – 828 71 152
E-Mail: nicole.boerner(at)parisax.de