AG Selbstvertretung in Sachsen im Gespräch zum Thema Sächsischer Landesbeirat für die Belange von Menschen mit Behinderung

Ende Juni fand die Arbeitsgemeinschaft Selbstvertretung in Sachsen (AG SV Sachsen) zu einem Gespräch mit dem Landesbeauftragtem für Inklusion der Menschen mit Behinderungen, Michael Welsch, und dem Vorsitzenden des Sächsischen Landesbeirats für die Belange von Menschen mit Behinderungen (SLB), Ralph Beckert, zusammen. Herr Welsch und Herr Beckert stellten sich den Fragen der Selbstvertreter*innen, die sich vor allem rund um den SLB und seine Funktionsweise drehten. Die LAG SH Sachsen, die LIGA der Selbstvertretung sowie das Antidiskriminierungsbüro Sachsen e. V. bietet der AG SV Sachsen eine Plattform, in der sich bereits ca. 30 politisch interessierte Menschen mit Behinderungen in Sachsen engagieren.

Der Sächsische Landesbeirat für die Belange von Menschen mit Behinderung

Den SLB gibt es bereits seit 1998, in seiner jetzigen Form besteht er seit 2007. Bis 2017 war er als Beratungsgremium im Sächsischem Ministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt angesiedelt. Seither ist er in der Staatskanzlei mit eigener Geschäftsstelle etabliert. Im SLB sitzen 26 Mitglieder, die den Inklusionsbeauftragten von Sachsen beraten. Außerdem kann der SLB Mitglieder in weitere Gremien entsenden.

Die Regeln für die Berufung der Mitglieder stehen in der Verwaltungsvorschrift „VwV Landesbeirat“. Unter Punkt 2. Mitglieder sind alle Organisationen aufgelistet, die Personen in den Beirat berufen dürfen. Dazu gehört auch die LAG SH Sachsen, die insgesamt acht Vorschläge unterbreiten darf. Bei Interesse an einer Mitarbeit im SLB kann sich jede Person bei den entsprechenden Organisationen bewerben, ohne zwingend Mitglied derselben zu sein.

Weitere drei Mitglieder werden durch den oder die Inklusionsbeauftragte*n benannt. Anschließend werden die Vorschläge von der Staatskanzlei geprüft. Der Beirat wird zum 01.12.2023 neu berufen.

Ralph Beckert konnte einige Erfolge des SLB aufzeigen. So hat der Beirat die Richtlinie Teilhabe beeinflusst, z. B. hinsichtlich der Assistenz. Weiterhin verfasste der SLB kürzlich u. a. eine Stellungnahme zur Sächsischen Bauordnung. Ebenso konnte in der Verwaltungsrichtlinie „VwV Normerlass“ eingewirkt werden: Bei allen neu erlassenen Regelungen im Freistaat Sachsen müssen die Auswirkungen auf Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden. Die Regelungen müssen UN-BRK-konform gestaltet sein.

Eine echte Selbstvertretung?

Das Grundverständnis der AG ist einfach: Nicht Menschen ohne Behinderungen entscheiden über oder für Menschen mit Behinderung, sondern sie kämpfen selbst dafür, dass sich ihr Leben verbessert und sie gleichberechtigt an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilnehmen und mitentscheiden – getreu dem Grundprinzip der internationalen Behindertenbewegung „Nichts über uns – ohne uns!“.

Daher fragten sich die politisch engagierten Menschen der Runde natürlich, ob der SLB eine echte Selbstvertretung ist. Laut Aussage des Vorsitzenden fragt der Beirat die Behinderungen der Mitglieder nicht ab, sondern vertraut in die Vorschläge der Organisationen, die Mitglieder berufen dürfen. Nun achtet die LAG SH Sachsen bei ihren insgesamt acht Berufungsvorschlägen natürlich darauf, dass die Personen Selbstvertreter*innen sind und/oder in einem der Mitgliedsverbände der LAG SH Sachsen organisiert ist. Organisationen wie die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen, die Lebenshilfe Sachsen e. V. oder der Sozialverband VdK Sachsen e. V. sind jedoch keine klassischen Verbände der Behindertenselbstvertretung und entsenden so auch nicht zwingend Menschen mit Behinderungen. Gleichfalls sind in der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Behindertenbeauftragten der Landkreise und kreisfreien Städte in Sachsen nicht ausschließlich Selbstvertreter*innen vertreten.

Punkt 2.3 der VwV Landesbeirat besagt: „Bei der Auswahl der Mitglieder sollen Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen angemessen berücksichtigt werden. Es soll auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern, eine gemischte Altersstruktur, die unterschiedliche Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und die ausgewogene geographische Verteilung geachtet werden.“

Hier sind keine Verbindlichkeiten festgelegt, die sicherstellen, dass es auch wirklich zu einer Ausgewogenheit kommt. Wozu nützen solche Vorschriften, wenn sie dann nicht ausreichend auf Einhaltung überprüft werden?

Aus den Reihen des SLB heißt es u. a.: „Menschen mit Handicap benötigen unsere Unterstützung, Begleitung und uns als Interessenvertretung“. Dass es sogenannte Allies, also Personen, die die betroffene Gruppe mit ihrer Stimme stärken, auch für Menschen mit Behinderung geben muss, ist unstrittig. Aber allein die veraltete und defizitorientierte Formulierung „Menschen mit Handicap“ zeigt, dass nicht alle berufenen Personen im SLB Selbstvertreter*innen sind.

Menschen mit Behinderung sind durchaus fähig, sich selbst und ihre Interessen zu vertreten. Manche mögen dabei Assistenz benötigen, jedoch gilt immer der Leitsatz „nichts über uns ohne uns“. Es reicht nicht, die Bedarfe der betroffenen Personen (vermeintlich) zu kennen und in ihrem Interesse zu handeln. Menschen mit Behinderung müssen an vorderster Front stehen, so befinden die Selbstvertreter*innen der AG SV Sachsen. Daher wird es zeitnah auch noch einen internen Auswertungstermin des Gesprächs geben.

Die AG SV Sachsen bedankt sich herzlich für das konstruktive und informative Gespräch mit Herrn Welsch und Herrn Beckert!

Über die AG Selbstvertretung in Sachsen

In der AG SV Sachsen beraten ca. 30 politisch engagierte Menschen mit Behinderung aus Sachsen in regelmäßigen Arbeitstreffen darüber, wie sie ihre Wirksamkeit in den verschiedenen politischen Zusammenhängen und Gremien auf Landes- und kommunaler Ebene erhöhen und aktiv Politik mitgestalten können. Neue Selbstvertreter*innen sind immer herzlich willkommen. Bei Interesse melden Sie sich unter ag.sv.sachsen@gmail.com.