Diskriminierung in der Teilhabeberatung für gehörlose Menschen ab 2023 erwartet
(www.eu-schwerbehinderung.eu/red; ahi) Menschen mit Behinderungen können sich bei der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ (EUTB) beraten lassen. Diese Anlaufstelle ist ein Angebot, welches vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanziert wird. „Das Beratungsangebot der EUTB® erstreckt sich auf die Information und Beratung über Rehabilitations- und Teilhabeleistungen gemäß § 32 Abs. 2 SGB IX. Laut Gesetzesbegründung soll das Angebot eine qualifizierte neutrale, aber parteiliche Beratung gewährleisten; es dient jedoch nicht der Beratung und Unterstützung bei Widersprüchen oder sozialgerichtlichen Verfahren“, so die offizielle Beschreibung des Leistungsangebots.
Behinderung ist nicht gleich Behinderung, denn die Ausprägungen der unterschiedlichen Behinderungen sind sehr komplex. Bei einigen Menschen liegen körperliche Beeinträchtigungen vor, die von der Außenwelt wahrnehmbar sind. Komplizierter wird es allerdings bei Behinderungen, die sich eher auf Sinnesorgane beziehen oder gar psychische Gründe haben. Diesen Menschen sieht man die bestehende Einschränkung nicht an. Daraus entstehen allerdings auch Ansprüche an die EUTB®. Diese muss nämlich ihr Beratungsangebot so ausgestalten, dass die Kommunikation mit den Beratungssuchenden unabhängig von der Einschränkung, möglich ist.
Wenn es auch einfach klingt, in der Praxis bauen sich offensichtlich neue Hürden auf. Noch zu Regierungszeiten der Union kam das Angehörigenentlastungsgesetz zum Tragen und damit ist für die EUTB® ein neues „Antrags- und Bewilligungsverfahren“ in Kraft getreten.
Allerdings scheint es damit ein Problem zu geben, wie der Unionsabgeordnete Hubert Hüppe darstellt: „Im kommenden Jahr wird für gehörlose Menschen nur noch die Hälfte der sogenannten Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungen (EUTB®) zur Verfügung stehen. Beraterinnen und Berater mit Gebärdensprachkompetenz werden, trotz Mittelaufstockung, durch bestimmte Förderkriterien systematisch benachteiligt. Aktuell gibt es in Deutschland 463 EUTB®-Standorte. Ab 2023 wird diese Zahl auf 499 ansteigen. Das Problem: Von dem ohnehin schon geringen Angebot an Beratern mit Gebärdensprachkompetenz hat nur die Hälfte einen positiven Förderbescheid für die Weiterführung ihrer Beratungstätigkeit ab 2023 erhalten.
Die Bundesregierung rechtfertigt dieses Vorgehen mit dem Verweis, dass viele der Beratungsstellen, in denen sich gehörlose Menschen in Gebärdensprache zu Teilhabeleistungen beraten lassen konnten, zu spezialisiert auf eine Zielgruppe wären. Damit würden sie gegen das Förderprinzip „eine für alle“ verstoßen. Ferner wird seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales darauf verwiesen, dass kein Bestandschutz für bereits bestehende Beratungsangebote gewährt werden könne. Dies würde zu einer Privilegierung bestehender Angebote und demnach zu einer Ungleichbehandlung führen.
Im Fall der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung ist eine Ungleichbehandlung jedoch angezeigt, wenn man eine mittelbare Diskriminierung vermeiden will. Gehörlose können eben nicht wie Hörende ohne weiteres mit ihrer Umwelt kommunizieren, was beispielsweise den Besuch von Behörden oder Beratungsstellen erschwert. Deshalb fordert auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und die Interessensvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) neben dem Prinzip „eine für alle“ auch Spezialisierungen zuzulassen, beispielsweise zu den Bereichen Taubblindheit oder Autismus-Spektrum.
Die Bundesregierung müsste über jeden EUTB®-Berater mit Gebärdenkompetenz dankbar sein, denn diese Personen tragen wesentlich zur Inklusion in Deutschland bei, indem sie andere Gehörlose zu Teilhabemöglichkeiten und -leistungen beraten.“
In einigen Regionen könnte die Schließung von EUTB® tatsächlich dazu führen, dass spontan keine Beratung für Menschen mit DGS-Unterstützung möglich ist, denn ein Gebärdensprachdolmetscher ist nicht immer unmittelbar verfügbar und in Regionen mit schlechter Internetabdeckung auch nicht online in ein Beratungsgespräch einbindbar (wir berichteten in unserer investigativ Recherche). Wie sich die Neuverteilung allerdings konkret darstellen wird, ist noch nicht klar ersichtlich, da die dazu notwendigen Daten erst im Januar nächsten Jahres publiziert werden. Im Jahr 2022 gab es laut offiziellen Daten der EUTB-Seite 196 Beratungsstellen mit „Besonderen Erfahrungen mit spezifischen Teilhabebeeinträchtigungen“. Für 2023 ist geplant, dass „eine für alles“ als neues Konzept gilt.
Die bestehenden Beratungsstellen mussten für 2023 die Gelder neu beantragen, wobei lange nicht alle Anträge angenommen wurden. Dabei wurden die Anträge nicht, wie eigentlich erwartet, vom Bundesministerium direkt bearbeitet, sondern dazu wurde die „Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbH“ (gsub) beauftragt.