Monitoringstelle: „Menschen mit Behinderungen immer noch kein selbstverständlicher Teil einer inklusiven Gesellschaft“

(eu-schwerbehinderung.eu/red; ahi) Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention und der Ratifizierung, hat Deutschland sich für eine Menge Maßnahmen in Deutschland entschieden, um Rechte von Menschen mit Behinderungen nicht nur zu stärken, sondern um auch Maßnahmen zu ergreifen, die Inklusion und Teilhabe möglich machen.

Wie gut Deutschland in der Umsetzung ist, dafür muss sich Deutschland vor den Vereinten Nationen (UN) immer wieder rechtfertigen, denn regelmäßig finden „Staatenprüfungen“ statt, so auch in diesem Jahr am 29. und 30. August.

Das Deutschland bei der Umsetzung noch viel zu tun hat, dass zeigen nicht nur die Berichte der letzten Staatenprüfungen, sondern aktuell auch Kritiken von Vereinen und Verbänden. Dabei geht es nicht nur um Barrierefreiheit. Eines der großen Kritikpunkte sind die immer noch nicht abgeschafften „Sonderwelten“. Eine der bekanntesten Sonderwelt ist dabei die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen (WfbM) oder auch das Modell der Förderschulen.

„Seit dem Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland im Jahr 2009 hat der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Umsetzung der Konvention in Deutschland erst einmal überprüft, im Jahr 2015. Die erneute Standortbestimmung ist auch eine gute Gelegenheit, die Belange von Menschen mit Behinderungen einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen,“ betonte Britta Schlegel vom Institut für Menschenrechte in einem Interview.

Leander Palleit, ebenfalls vom Institut für Menschenrechte, erhofft sich neuen Schwung für die weitere Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. „Nach der Aufbruchstimmung in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der Konvention ist die Umsetzung sowohl im Bund als auch in den Ländern und Kommunen leider in vielen Bereichen auf halbem Weg stehen geblieben, beispielsweise in den Bereichen Bildung und Verkehr. Das hat bei vielen Akteur*innen zu Frustration und einer spürbaren Ermüdung geführt. Wir würden es begrüßen, wenn die Staatenprüfung bei den politisch Verantwortlichen zu einer selbstkritischen und vertieften Auseinandersetzung mit den bestehenden Problemen und Umsetzungsdefiziten führt. Leider unternimmt Deutschland immer noch bei Weitem nicht alles Notwendige und Mögliche, um die Vorgaben aus der Konvention umzusetzen,“ so Palleit.

Nach 14 Jahren, die seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention vergangen sind, sollte man in der Umsetzung erwarten können, dass Deutschland als reiches Land hier bereits weit fortgeschritten ist. Das aber zu glauben, scheint mit Blick auf andere europäische Staaten eher ein Trugschluss zu sein. „Menschen mit Behinderungen sind immer noch kein selbstverständlicher Teil einer inklusiven Gesellschaft, sondern werden in Sonderstrukturen verwiesen, etwa bei der schulischen Bildung, der Beschäftigung in Werkstätten oder auch beim Leben in großen Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Zu diesen etablierten Sonderstrukturen gibt es nach wie vor kaum Alternativen. Zwar wird in Politik und Gesellschaft viel über Inklusion diskutiert, konsequent in die Tat umgesetzt wird sie jedoch nicht,“ kritisiert Britta Schlegel vom Institut.

Nicht alles ist schlecht, stellt Leander Palleit fest: „Fortschritte gab es vor allem auf gesetzgeberischer Ebene: Unter anderem wurden die vom UN-Ausschuss stark kritisierten Ausschlüsse von Menschen mit Behinderungen vom Wahlrecht aufgehoben, das Betreuungsrecht wurde reformiert und orientiert sich jetzt deutlicher am Willen der unterstützten Person und die Leistungen für Menschen mit Behinderungen sollen mit dem Bundesteilhabegesetz nun personenzentriert und nach den Wünschen der Menschen angeboten werden. Die Herausforderung liegt nun allerdings bei der Umsetzung dieser gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Praxis. Auf Ebene der Bundesländer ist sehr positiv zu bewerten, dass jedes Bundesland mittlerweile einen eigenen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat, der festschreibt, wie das Land die Rechte von Menschen mit Behinderungen verwirklichen will.“

Eine der größten Gefahren, so die Befürchtungen vom Institut, ist die Legitimierung der Doppelstrukturen, die dann als Inklusion verkauft werden. Das zeigen einige Bundesländer, die beispielsweise mit Stolz immer noch neue Förderschulen schaffen.

Britta Schlegel wies im Interview darauf hin: „Ein großes Problem besteht darin, dass Menschen mit Behinderungen und ihre Bedarfe in vielen Bereichen kaum oder gar nicht mitgedacht werden. Es fehlt ein durchgängiges Bewusstsein für Barrierefreiheit, die Grundvoraussetzung wäre für eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft. Das betrifft zum Beispiel den Bausektor, also Barrierefreiheit bei Neu- oder Umbauten, aber auch die Gesundheitspolitik oder den Katastrophenschutz. Was nach wie vor fehlt ist ein echter Paradigmenwechsel in der Gesellschaft hin zu Inklusion und Selbstbestimmung.“